Portraits und der Zugang zu den Menschen.

Ich glaube, ich entwickelte im Frühjahr 2020 diese seltsame Idee, einmal Gesichter abzulichten. Damals verfügte ich bereits über eine gewisse Reputation und stabilen Netzwerk und nach den Spielwiesen „Lostplaces“, „Makro/Natur“ und allgemeine Streelife – Szenen war ich etwas unzufrieden, weil eben mein Publikum mich immer irgendwo einordnete (Urbex, Makro usw.).

Da dachte ich mir, dass ich mir die Menschen in meiner Umgebung etwas genauer anschauen möchte. Die Scheu / die Unsicherheit war – soweit ich das noch feststellen kann – ein irrationaler Gedanke. Besser: ich war in dem Instagram-Reichweitenspielchen gefangen, sah reputationsstarke Künstler:innen und traute mich schlichtweg nicht, in die Sparte einzutauchen.

Sprich: ich war in einer völlig absurden Gedankenspirale gefangen. Das wurde im 2020er Sommer aufgelöst und hier meine Tricks:

  1. Verwende eine möglichst alte Mittelformatkamera mit Lichtschachtsucher! (Grund: das wirkt ungefährlich, die Menschen haben keine Angst, keine Bedenken und fühlen sich nicht beobachtet!)
  2. Übe mit Freund:innen!
  3. Einfach machen!
  4. Laufe mit der alten Kamera durch belebte Straßen! (Grund: ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich immer angesprochen werde und aus den Gesprächen ergeben sich sinnvolle Fotogelegenheiten!)
  5. Sei absolut neutral in der Behandlung der Menschen! (Hinweis: Wenn ich eine Idee, oder ein Grundgefühl zum Charakter des Menschen im Moment des Fotografierens habe, begebe ich mich in das Problemfeld, dass meine persönliche und individuelle Wahrnehmung nicht unbedingt die Realität abbilden muss!)
  6. Zeige den Menschen Dein Werkzeug, erkläre die Bedienung und die Technik. Erkläre, was Du da tust!
  7. Übe mit Menschen, zu denen Du keinen freundschaftlichen Zugang hast. Ideal sind hier Personen, die Du nicht magst (Achtung: KEIN Hass!) und schaue Dir ganz genau an, wie die Fotos auch Externe wirken. Frage da: „Wie findest Du die Menschen, die Du da siehst?“ und beobachte die Rückmeldungen.
  8. Verstehe, dass bei dieser Sparte selbstverständlich zwischenmenschliche Beziehungen entstehen werden und dass man im Rahmen der Gespräche auch intime Details, die nicht schön sind, erfahren wird. Wenn Du damit nicht umgehen kannst, lass es bleiben.
  9. Üben Üben Üben, gerne mit billigen Filmen (Fomapan, abgelaufene aus eBay)
  10. Begreife, dass Du niemals perfekt sein wirst. Das liegt an der Individualität der abzubildenden Menschen. Jeder Mensch ist anders und bringt einen anderen Hintergrund mit. Positioniere Dich daher gar nicht als Profi in dem Bereich. Du wirst ein Profi werden, jedoch maximal im Bereich des Handwerks, der Fotochemie, jedoch niemals im direkten Kontakt mit den Menschen, die Fotos von Dir gemacht haben wollen.

Das wäre meine 10 wichtigsten Impulse und die Galerie zeigt die Motive, die mir gar nicht persönlich gefallen. Ich finde die – naja – „nicht gut“, aber die abgelichteten Personen lieben diese Sachen und damit komme ich zum wichtigsten Impuls:

ES GEHT NIEMALS DARUM, DASS DU DEINE BILDER GUT FINDEST! ES GEHT DARUM, WELCHE GEFÜHLE DU MIT DEINEN BILDERN BEIM ABGELICHTETEN MENSCHEN AUSLÖST UND OB DER ABGELICHTETE MENSCH EINE BESSERE IDEE VON SEINEM WESEN NACH DEM BETRACHTEN DER GEMACHTEN BILDER BEKOMMT!

Du hast da nur eine Rolle: Beobachten und zum perfekten Zeitpunkt den Auslöser bedienen.

An der Stelle: in dieser Woche sprachen mich einige Abgelichtete an und erzählten mir, dass meine Werke in deren Tinderaccounts landeten und der Grund für das Finden interessanter Frauen ist. Ein besseres Kompliment habe ich noch nie gehört.

Unterwegs #3 – Was mit Menschen

Ich muss an der Stelle gestehen, dass ich bis vor wenigen Monaten eine gewisse Distanz zu StreetLife oder Menschen im Allgemeinen gewahrt hatte. Die Gründe sind vielfältiger Natur; angefangen mit persönlicher Abneigung und aufgehört mit Schüchternheit. Nun passierte etwas Interessantes: man wurde auf mich aufmerksam, suchte die Freundschaft zu mir und bat mich darum, einmal mit der Hasselblad oder der Kiev die schönen Momente festzuhalten. Den letzten Anstoß lieferte meine liebe Mentorin Maria und nach gefühlt endlosen Diskussionen, Kritiken, Selbstkritiken und klischeehaften Unsicherheiten, sehe ich den Punkt erwirtschaftet: die Kamera arbeitet absolut wertneutral, das Bedienen des Auslösers hat nichts mit privaten Unsicherheiten, Bedenken oder Ängsten zu tun und gute Bilder sind primär Resultate der seelenlosen Beobachtungsgabe der zu bedienenden Analogkamera. Interessant ist für mich, dass mich mittlerweile sehr viele Menschen ansprechen und fragen: möchtest Du nicht ein Foto machen? Manchmal lasse ich mich da auf das Experiment ein und mich erstaunt es immer wieder, wie die Abgelichteten sich freuen. So habe ich die irrationale Angst abgestellt und jede Menge tolle, inspirierende und hochintelligente Menschen kennen gelernt.